Wanted – Billy the Kid
Von Silvia Szymanski // 8. März 2012 // Tagged: Porno, Queer // Keine Kommentare
Drive, mein großer Lieblingsporno von Jack Deveau, ist wilder, dunkler, intensiver. Aber die Räume in „Wanted…“ sind auch schön zwingend eng. Der durchdringend sexualisierte Blick lässt alles sinister erleuchten, die Kamera gleitet atmend und erregt an einem langen Bein entlang, aber auch an einem Telefonkabel, einem Topf auf dem Herd, einem Wasserhahn oder an Sachen, die am Boden liegen.
Einer der Männer in „Wanted…“ liegt in seiner Wohnung auf dem Boden und guckt mit dem Protagonisten, zwischen ihrem Sex, Deveaus ersten Film „Left-handed“. Er (John Meyers) ist selber Fotograf und erzählt Billy (Dennis Walsh), wie er draußen unbemerkt Leute aufnimmt und so an ihrem Leben saugt. Einen Mann habe er tagelang verfolgt, ihn gleichsam mit der Kamera gefickt. „Als ein Mensch bist du… nun, was auch immer“, sagt er, während im Hintergrund der Song „I`ll be you mirror“ (David Earnest/Moose 100) läuft, „aber das ist nichts dagegen, ein Objekt zu sein. Dein Bild ist ein Schlüssel zu einem versteckten Ort in meinem Kopf. Du könntest das in Wirklichkeit nie einlösen. Nichts kommt an das heran.“ Das klingt traurig, und ich finde, es ist nicht die Wahrheit. Deveau macht sein Tun aus Scham herunter, seine Leute sehen ja gar nicht aus wie Objekte, „gemachte“ Bilder oder gar Waren. Sie sind allerdings umspült von einem lüstern umfassenden, verehrenden Begehren; die Kamera brennt mit glühender, sexueller Liebe Löcher in das, was sonst die Welt zudeckt, sie zieht alle aus, bis sie sich unter ihr winden. Fast alle Religionen nennen eine solche Besessenheit Verblendung oder Hölle. Aber ich könnte manchmal niederknien vor Deveaus Ergriffenheit oder sie zumindest streicheln.
Die Hände, Füße, Unterarme, Waden, die Linien der Köper sind bei ihm oft so mysteriös wie Malerei der frühen Renaissance. Aber nicht mit Absicht, das ist eher Geistesverwandtschaft. Zum Teil kommt das von den Kamerabewegungen. Die Darsteller haben aber auch selber eine Art, ihre Hände auf dem Körper des anderen zu platzieren… entschlossen, mit einer beseelten, selbstvergessenen Zärtlichkeit, die das gängige Urteil über Pornos völlig umwirft.
In „Drive“ oder auch in „Wanted…“ mitzuwirken, muss ein verwirrendes Erlebnis gewesen sein. Ohne zu überlegen, hätte man da mitmachen und auf die Fortsetzung seines eigenen Lebens für diese Zeit verzichten wollen. Diese Kamera ist keine fremde Instanz, vor der man sich unwohl fühlen, schämen oder beweisen müsste; sie gehört dazu, wie ein weiterer, sehr interessierter Mann.
Sie fügt sich in die winkeligen, kleinen Bohèmewohnungen, wo obszöne Anrufe eines Fremden die Sprachmelodie leidenschaftlicher Gedichtrezitationen haben. Oder in den schmalen Keller, wo Billy mit dem Hausmeister (Peter Thadliski) zweideutig, schmutzig spricht. Und sich heiß, doch scheinbar zögerlich, an ihn heran macht. Deveau versteht viel von der Schönheit in ihrem Tun und Spielen aufgehender Gesichter. Er hält die bewegende physische Riesensehnsucht fest, die sich im Gesicht von Billys Partner dort im Keller ausdrückt. Das vieldeutige, um Kontenance bemühte, dann wieder weicher werdende Gesicht von Billys intellektueller, sophisticated Freundin (Megan Ross), die mit Billy „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ liest. Oder das der zuerst kühl planenden, dann gelösten, hingerissenen Frau, die mit Billy und ihrem Ehemann im Bett landet. Beide Frauen haben eine eigenere, ungewöhnlichere, unabhängigere Art als die meisten Frauen in den Heteropornos. (Meine ich. Aber vielleicht bin ich auch ungerecht.)
„Wanted…“ hat nichts Abgeschlossenes, er ist ein Strom, ich mag nur Einzelnes herauspicken. Billy, der Junge, den jeder will, ist angehender Schauspieler, nebenbei nimmt er Geld für Sex. Er hat ein etwas starr und künstlich wirkendes, kontrolliertes Gesicht, das aber gewinnt, wenn man ihm länger dabei zusieht, wie er sich dem Film und seinem Sex hingibt. Er hat manchmal dieses Lächeln, das Thomas Mann „faunisch“ nannte und mit etruskischen Männerdarstellungen in Verbindung brachte. Die rheinischen Statuen weiblicher Heiliger im Mittelalter lächelten auch so befreiend verschmitzt. Zum ersten Mal lächelt Billy so, nachdem er sich, in der Badewanne liegend, von seinem dunkelhäutigen Lover hat anpinkeln lassen. Dann umarmen und küssen sie sich.
Ich weiß nicht genau, was Anpinkeln im Zusammenhang mit Sex bedeutet. Es sieht in Pornos oft nicht so aus, als sei jemand dadurch direkt angemacht. Vielleicht trägt es beim Liebesspiel zur Stimmung tabuloser Freiheit bei. Und versichert dem Mitspieler bedingungslose Hingabe, auch an seine Verrücktheiten und ambivalenten Regungen. Hier mag es außerdem die Einwilligung in die Umkehrung=Aufhebung rassistischer Degradierung bedeuten.
Der Film geht nicht zu Ende. Mir ist, als steckte da was drin, das ich noch gar nicht richtig gesehen habe. Ich wüsste gerne mehr über ihn und seinen Regisseur. Jack Deveau starb 1982, mit siebenundvierzig Jahren, und hat von 1972 bis 1986 sechzehn Filme gedreht.
USA 1976, Regie: Jack Deveau